Die VABO-Schüler der Tübinger Wilhelm-Schickard-Schule haben gemeinsam mit dem Haus der Geschichte in Stuttgart einen Podcast zum Thema Diktatur, Widerstand, Flucht und Demokratie gemacht.
Ende November haben Schüler der VABO-Klassen aus der Tübinger Wilhelm-Schickard-Schule auf Einladung des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart drei Tage lang an einen Podcast zum Thema Diktatur und Widerstand, Flucht und Demokratie gearbeitet. Der Podcast wird Teil der Dauerausstellung zur Biografie des Hitler-Attentäters Claus Schenk Graf von Stauffenberg in der Stauffenberg-Erinnerungsstätte im Stuttgarter Alten Schloss werden. Anfang 2025 ist eine Feier zur Veröffentlichung geplant.
Fangen wir mit dem Ende an: Am letzten Tag des drei-tägigen Projekts zogen die Tübinger VABO-Schüler los zum Schlossplatz, Leute interviewen. Ausgerüstet mit Mikrofon und Aufnahmegerät fragten sie: „Was können wir alle für eine freie und gerechte Welt tun?“ Und landeten gleich bei der ersten Interview-Partnerin einen Volltreffer: Die schulpolitische Sprecherin und Landtagsabgeordnete der SPD, Katrin Steinhülb-Joos, stand den Tübinger Schüler*innen, die aus allen Teilen der Welt kommen und gerade erst Deutsch lernen, Rede und Antwort.
Trotz Sprachschwierigkeiten und gelegentlichen Missverständnissen waren die Straßeninterviews das Highlight des ambitionierten Projekts. Die VABO-Schüler und Schülerinnen waren begeistert, selbst etwas tun zu können und mittels Diskussionen und neuen Ideen dazu beizutragen, dass die Welt ein klein wenig freier und gerechter wird.
Montagmorgen, 25. November, am Tübinger Bahnhof: Alle da, alle pünktlich, 13 Schüler*innen supergespannt auf die drei-tägige Klassenfahrt in die Landeshauptstadt. Die Sonne strahlt, viele sind zum ersten Mal in Stuttgart. Einmal durch die Fußgängerzone, dann quer über den Schlossplatz machen sie die ersten Fotos, schicken sie an Familie und Freunde zuhause.
In der Stauffenberg-Erinnerungsstätte am Stauffenberg-Platz warten die Projektleiterinnen Sanja Tolj, Luisa Kreiling und drei Dolmetscherinnen für Arabisch, Ukrainisch und Persisch mit Schokolade und Gummibärchen. Doch gleich geht’s an die Arbeit und mit Hilfe von Schaubildern zum Nationalsozialismus sind wir auch schon mittendrin im düstersten Kapitel der deutschen Geschichte.
Was kennen die internationalen Schüler*innen, die gerade erst die deutsche Sprache und Kultur kennenlernen, von der deutschen Geschichte? Von Adolf Hitler, dem Reichskanzler, der ein Diktator war, mehr als sechs Millionen Menschen ermorden ließ und die Welt erobern wollte, haben alle gehört. Aber wer war der Widerstandskämpfer Stauffenberg, dessen Attentat auf Hitler scheiterte und der 1944 hingerichtet wurde?
„Warum ist Stauffenberg nicht geflüchtet?“, fragen die Schüler*innen, als am Nachmittag heftig über Attentate, Demonstrationen, Sitzblockaden, Hausbesetzungen, Straßenkämpfe und andere Formen des Widerstands diskutiert wird. Auch Flucht kann eine Form des Widerstands sein. Flucht vor gnadenloser Diktatur und Krieg wie sie die meisten der VABO-Schüler*innen, die aus der Ukraine, aus Syrien, aus Afghanistan oder aus Somalia nach Deutschland gekommen sind, hinter sich haben.
Erinnerungen an eigene Fluchtgeschichten kommen hoch und sind schwer auszuhalten. Doch ein cooler Abend mit Freunden, mit Billiard und Tischkicker in der schönsten Jugendherberge von Stuttgart verscheucht die schweren Gedanken und Bilder schnell. Der Blick aus dem Speisesaal über die leuchtende Stadt, blinkendes Riesenrad und Bahnhof-Großbaustelle inclusive, sowie Fahrten mit einem gläsernen Aufzug über acht Stockwerke sind Erlebnisse, die die Schüler und Schülerinnen nicht so schnell wieder vergessen.
Nach einer Diskussion über Ungerechtigkeiten und Rassismus-Erfahrungen in einem demokratischen Land wie Deutschland steht am Dienstag die journalistische Form des „Podcasts“ auf dem Programm. Ralf Podszus und Jasmine König von der Stuttgarter Agentur Podever haben Mikrofone, Kopfhörer und Aufnahmegeräte mitgebracht. Da sind die Schüler*innen, die sich schon in der Schule in Tübingen auf ihre Interviews vorbereitet haben, kaum mehr zu bremsen.
Alle wollen sich als Journalisten ausprobieren, interviewen und interviewt werden. Rund um die Kernfragen: „Warum bist du aus deinem Heimatland weggegangen?“ – „Wie kann man sich gegen eine Diktatur wehren?“ – „Was läuft gut und was läuft nicht gut in einer Demokratie?“ entwickeln die Schüler und Schülerinnen Fragen und Antworten. Manche sind so angefixt von den Themen, dass sie nach dem Abendessen in der Jugendherberge ihre Fluchtgeschichten in ihrer Muttersprache aufschreiben, mit google übersetzen und die Texte bis Mitternacht mit Hilfe der Klassenlehrerin in korrektes Deutsch umformulieren.
Am Mittwoch dann die gegenseitigen Interviews mit den vorbereiteten Geschichten, auch eine Moderation, die zu einem richtigen Podcast gehört, wird eingesprochen.
„Warum bist du aus deinem Heimatland weggegangen?“ – „Weil ich unfrei bin in meinem Land und weil die Taliban Frauen wie Tiere behandeln.“ – „Wie waren die ersten Tage in Deutschland?“ – „Der Horror!“ – „Warum bist du nach Deutschland gekommen?“ – „Ich möchte den Traum meiner Mutter verwirklichen: Lernen, eine Ausbildung machen und mithelfen, dass wir alle gut zusammenleben.“ Sind nur ein paar Fragen und Antworten des Schüler*innen-Podcasts, der die Besucher der Stauffenberg-Ausstellung zukünftig erwartet. Sogar die Dolmetscherin aus dem Iran, Mina Ahmadi, stellte sich für ein Interview zur Verfügung und erzählte ihre schwierige Fluchtgeschichte.
„War super!“, sagt Andrii aus der Ukraine bei der Rückfahrt am Mittwochabend nach Tübingen, „ich hab soooo viel Deutsch gelernt!“ „Vielleicht will ich Journalistin werden“, sagt Khadiga, die mit ihrer Familie aus Syrien in die Türkei und nach dem Erdbeben 2023 nach Deutschland geflüchtet ist. Wieder in der Schule wirkt das Projekt nach und die VABO-Schüler und Schülerinnen werden die Frage „Was können wir alle für eine freie und gerechte Welt tun?“ noch lange diskutieren. Was die Landtagsabgeordnete der SPD, Katrin Steinhülb-Joos, und viele andere Menschen auf dem Schlossplatz geantwortet haben, erfahren wir im Februar, wenn der Schüler*innen-Podcast in der Dauerausstellung der Stauffenberg-Erinnerungsstätte zu hören sein wird.
Von Marianne Moesle
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