Wenn der nette Nachbar zum Paten wird

Jurist aus Karlsruhe spricht an der Wihelm-Schickard-Schule über die Mafia in Deutschland

Am 27. März sprach der Strafrichter und Autor Dr. Alessandro Bellardita aus Karlsruhe in der WSS über die Mafia und ihren Einfluss in Deutschland und wenige Tage später kommt es im Raum Stuttgart bei einer groß angelegten Razzia gegen die Mafia zu zahlreichen Haftbefehlen. Zum Vortrag waren etwa 100 Schülerinnen und Schüler, Lehrende und weitere Interessierte gekommen und hörten, was der Jurist durch seine Arbeit und seine Forschung über „Blut, Geld, Ehre – eine Anamnese der Mafia“ zu sagen hatte. „Baden-Württemberg ist eine Hochburg“, und im gleichen Atemzug nennt Bellardita Mannheim, Pforzheim, Heidelberg und den Raum Stuttgart als wichtige Standorte des Netzwerks. Ebenso sei Deutschland auch Rückzugsort für „Schläfer“, die für Verbrechen kurz und gezielt nach Italien geholt werden würden. „Zu Killermaschinen großgezogen leben sie unauffällig in Deutschland und warten auf Weisung.“ Nach Erledigung des Auftrags, etwa Morde zur Bestrafung oder aus Rache, würden sie dann sehr schnell wieder zurückkehren, sodass die Ermittlungen in Italien gegen die Täter ins Leere liefen.

In den folgenden 70 Minuten hört das Publikum vom Strafrichter, wie sich die Mafia in Süditalien vor gut 100 Jahren entwickelte, auf der Grundlage sehr prekärer Zustände dort und wie aus der ursprünglichen Idee der Nachbarschaftshilfe, der gegenseitigen Unterstützung, ein System von Bedrohung, Missbrauch, Folter und Mord wurde. Vertrauen sei die wichtigste Währung, der Mafia. Ihre Mitglieder würden den eigenen mächtigen Strukturen des Systems folgen. Die Mafia operiere konsequent, brutal und häufig unbehelligt, so dass Angst eine wirkmächtige Stütze des Systems sei. Ihre Haupt- und Nebenäste bildeten zusammen mit verschiedenen Clans und Gangs weltweit einen gigantischen Filz jenseits von Recht und Ordnung. Hauptgeschäft sei der Drogenhandel. „Die Mafia funktioniert global wie ein großes Unternehmen“, so Bellardita. Problematisch würden dabei entsprechend große Mengen von Bargeld. Der Strafrechtler erklärt, nach der Wiedervereinigung sei Ostdeutschland quasi mit Bargeld aufgekauft worden, mit Mafia-Geld, und er erinnert daran, dass erst seit April 2023 Immobilien in Deutschland nicht mehr durch Barzahlung den Besitzer wechseln dürfen.

Auf Einladung der Lehrerin Valeria Buonocore war der Strafrichter aus Karlsruhe nach Tübingen an die Kaufmännische Schule gekommen. Im Anschluss stellen einige Schüler Fragen, darunter eine Schülerin, die zögerlich formuliert: „Haben Sie keine Angst?“ Der Jurist entgegnet, er sehe es als seine Pflicht zum Schutz unserer Freiheit. Und auf die Frage, was wir als Einzelne gegen die Mafia tun können, sagt er lakonisch: „Zahlen Sie Steuern, wenn Sie einmal Unternehmer werden. Sorgen Sie für einen handlungsfähigen, sozialen Staat.“

Dr. Alessandro Bellardita vor Schülern im Foyer Wilhelm-Schickard-Schule